Willkommen im Haus der Transformation
Es ist hoch interessant, zu sehen, wie wir Menschen darauf reagieren, wenn gravierende Veränderungen unseren liebgewonnen Status-quo bedrohen. Die Abfolge der Emotionen beginnt in der Regel mit Schock, Leugnung und Ablehnung, führt irgendwann zu rationaler und emotionaler Einsicht und im besten Fall zu Akzeptanz, Anpassung sowie über das Ausprobieren neuer Wege hin zur Erneuerung.
Der schwedische Psychologe Claes F. Janssen hat zur Beschreibung von Transformationsprozessen das Erklärungsmodell des „House of Change“ entwickelt. Die grundlegende Aussage ist, dass man bei jeder Veränderung immer durch vier Zimmer geht. Das erste Zimmer im House of Change ist das Zimmer der Zufriedenheit, das die Phase vor der eigentlichen Veränderung beschreibt. Dinge so zu tun wie immer lautet das Erfolgsrezept. Plötzlich eintretende Veränderungen werden abgetan mit Sätzen wie „Wir sollten das nicht so ernst nehmen“, „Das ist nur vorübergehend“, „Das ist nur Panikmache“ oder „Das geht schnell wieder vorbei“. Im nächsten Zimmer, jenem der Ablehnung, wird die Veränderung bewusst wahrgenommen. Noch wird die Vergangenheit verteidigt oder weiter schöngeredet („Das war früher besser“). Zugleich beginnt die Suche nach Schuldigen. Zentrale Gefühle sind Angst und Wut. In Zimmer drei, dem Zimmer der Verwirrung, folgt erstmalig die Erkenntnis, dass sich etwas ändern wird und auch muss. Orientierungs- und Kontrollverlust können sich breitmachen, Hilferufe werden laut, „Ich weiß nicht mehr weiter“ gehört nun zu den Standardsätzen. Erst wenn das Tal der Tränen durchschritten ist, öffnet sich die Türe zu Zimmer vier, jenem des Erprobens neuer Wege. Aus der Not geborener Mut treibt an. In Organisationen formieren sich rund um die Vordenker und Pioniere schrittweise Teams, um aktiv Pläne für die neue Zeit zu entwickeln und umzusetzen. Die Ratlosigkeit weicht mit der Zeit neu gewonnen Kompetenzen. Mit den ersten eintretenden Verbesserungen entwickeln sich konkrete Vorstellungen darüber, wie die Zukunft zu gestalten ist.
Das Modell von Claes F. Janssen ist meines Erachtens hervorragend geeignet, um das Verhalten von Menschen im Zuge von Krisensituationen und Not-wendenden Transformation zu erklären. An Anlässen, typische Verhaltensmuster zu beobachten, herrschte in den letzten Jahren bekanntlich kein Mangel. Geopolitische Krisen, Pandemie, Klimawandel, Lieferkettenengpässe und explodierende Energiepreise lieferten „Chancen“ genug, um sich verloren zu fühlen, zu jammern oder einfach nur zu hoffen, dass alles bald ohne eigenes Zutun vorübergeht und wieder Frieden einkehrt. Diese Hoffnung wird freilich enttäuscht. Die Veränderungen sind gekommen, um zu bleiben. Die Rahmen- und Marktbedingungen werden nie wieder die gleichen sein. Die Transformation ist unaufhaltbar, und dies auf allen denkbaren Ebenen − von der voranschreitenden Klimakrise über den sich rasant beschleunigenden technologischen Wandel, Stichwort Künstliche Intelligenz, bis hin zu den einschneidenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Unternehmer im Angesicht des Fachkräftemangels zu Bittstellern werden, die um die Gunst von Young Professionals mit deren neuen Ansprüchen an Arbeitszeit, Arbeitsplatz und Work-Life-Balance härter kämpfen müssen denn je.
„It’s time for a change!“, so läuten die Glocken. Die Digitalisierung der Geschäftsprozesse steht ebenso dringlich an wie die Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive oder die Maßnahmen für ein runderneuertes Employer Branding. Unternehmer, die im Strudel der Transformation nicht untergehen wollen, müssen sich aktiv mit ihrer Rolle im neuen Wettbewerbsumfeld auseinandersetzen, auf Basis solider Daten, die sowohl den eigenen Status-quo beleuchten als auch die Zukunft prognostizieren. Gefordert ist ein strategisches Vorgehen, das neue Anforderungen an die Führungsebenen stellt. Die Ansprüche an CEO als visionäre Lenker und CMO als Marketing-Schrittmacher steigen, wobei es letztlich immer um die Entwicklung und Positionierung der Unternehmensmarke geht.
Es ist demnach höchst an der Zeit, die ersten drei Zimmer des House of Change zu verlassen und das Tal der Tränen zu durchschreiten. Denn die Transformation findet statt, mit oder ohne uns.
With branded regards,
Ihr Harald Steiner