Brückenschlag der Epochen  

Wo sich Wiener Ingenieurskunst (wider)spiegelt 

Allein aufgrund seiner Dimensionen handelt es sich beim neuen Wasserbaulabor der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien um einen imposanten Bau. ATP architekten ingenieure in ARGE mit iC consulenten gelang dessen städtebauliche Einbindung zwischen zwei Flussarmen am Brigittenauer Sporn durch eine sensible Architektursprache, die den denkmalgeschützten Nachbarbauten bewusst den optischen Vortritt lässt. In seiner speziellen Lage zwischen Donau und Donaukanal steht das neue Forschungsgebäude in prominenter Gesellschaft: Neben der charakteristischen Uferbahnbrücke, die die Bezirke Döbling und Brigittenau verbindet, ist dies vor allem das vom Wiener Architekten Otto Wagner geplante Nussdorfer Wehr samt Verwaltungsgebäude und Schemerlbrücke, die von eindrucksvollen Bronzelöwen flankiert ist.  

Die Kunst eines Dialogs  
Das neue Gebäude besteht aus zwei ineinandergreifenden Baukörpern: Der Verwaltungstrakt mit Hörsaal im Osten und die große Forschungshalle im Westen. Was sie optisch eint, ist eine vertikale Gliederung der Fassade, was sie unterscheidet, ist die Materialwahl. Ein Wechselspiel zwischen transparenten Elementen und verspiegelten Paneelen findet sowohl an der Halle als auch mit unterschiedlicher Materialität beim Bürotrakt statt. Bei Letzterem orientiert sich das 1,35-m-Raster der mit Aluverbundplatten verkleideten Fassade außerdem an den Proportionen der klassizistischen Fensterordnung des Verwaltungsgebäudes von Otto Wagner.  

Ideen und Konzepte 
Das neue Wasserbaulabor der BOKU soll langfristig zur Erforschung der Lebensgrundlage Wasser für zukünftige Generationen beitragen. Versuchsaufbauten im großen Maßstab tragen dazu bei, ablaufende Prozesse in Flüssen besser zu verstehen, mathematische Modelle zur Prozessbeschreibung zu entwickeln, die Auswirkungen von flussbaulichen Maßnahmen zu prognostizieren sowie innovative wasserbauliche Methoden zur Verbesserung von Schifffahrt, Energiewirtschaft, Hochwasserschutz und Ökologie zu entwickeln. Außerdem sollen im neuen Labor Maßnahmen zur Problemlösung in verschiedenen wasserbaulichen Themenbereichen entwickelt werden, wie Stauraumverladung, Fahrwassertiefe, Uferrückbau, Sohlstabilisierung und Gewässervernetzung.   

Das neue Wasserbaulabor weist dabei einzigartige Maßstäbe auf: Rund 10.000 Liter Wasser der Donau werden pro Sekunde – ohne zu pumpen – abgezweigt, um ein unterirdisches Labor zu durchfluten. Herzstück der Forschung bildet der 92 x 25 m „Main Channel“ im Untergeschoss, wo umfassende Forschungsarbeit zu den Themen Hochwasserschutz, Gewässermorphologie, Sedimenttransport und Wasserkraft betrieben werden. 

Für den ersten Bauabschnitt, der bis zu 7,41 m unter dem 100-jährigen Hochwasserspiegel liegt, kamen verschiedene Spezialtiefbautechniken parallel zum Einsatz. 

Forschung in Szene gesetzt 
Der Main Channel als Herzstück des Labors wird bewusst inszeniert, indem die beeindruckenden Versuche, die hier stattfinden werden, sowohl von außen als auch von innen beobachtet werden können. Raumhohe transparente Elemente in der Fassade gewähren den Passanten neben dem Haupteingang und entlang des Donaukanals spannende Einblicke in die Forschungstätigkeit. Aber auch im Gebäudeinneren wird der Blick auf das River Lab und den Main Channel freigelegt. Die Brandschutzverglasungen zu den Forschungshallen sind wie Interior-Elemente hochwertig mit Holz umrahmt und geben den Forschenden und Studierenden die Möglichkeit, das Geschehen vom Bürotrakt aus zu verfolgen. Großes Augenmerk wurde auch auf die Nutzung von Tageslicht gelegt. So sind alle Fluchtstiegenhäuser verglast, wodurch wiederum der Blick auf die Donau und den Donaukanal freigelegt ist. Außerdem werden auf diese Weise eine helle Atmosphäre in den Innenräumen gefördert und die unterschiedlichen Nutzungsbereiche miteinander verbunden.  

Vielfältige Wasserkreisläufe 
Zur Beforschung stehen im Labor zwei verschiedene Wasserkreisläufe zur Verfügung: Bei der ersten Variante fließt das Wasser über einen Hochbehälter mit einem Fassungsvermögen bis zu 70 m3. Für diese Variante galt es in der Planung, die Dimension der Zuleitungsrohre mit einem Durchmesser von bis zu 80 Zentimetern zu berücksichtigen. Daneben gibt es auch die Möglichkeit eines Donauwasserkreislaufs, welcher direkt an das bestehende Forschungsinnere angeschlossen ist. Über ein Verteilerbecken mit ca. 230 m3 wird das Donauwasser in das Gebäude geleitet. 

Bohrpfähle als Energiepfähle 
Die 60 Bohrpfähle, die Schlitzwand, die Bohrpfahlwand und auch Wände sowie Bodenplatte haben nicht nur einen statischen Nutzen, sondern dienen darüber hinaus auch einer nachhaltigen Energieversorgung: Über die energieaktivierten Bohrpfähle und die Betonkernaktivierung in den Schlitzwänden wird Erdwärme für Heizung und Kühlung genutzt. Hierfür installierte man in jedes Gründungselement, jeden einzelnen Schlitzwandkorb und jeden Bohrpfahlkorb eine Geothermie-Leitung. Damit konnte die erforderliche Nennleistung von 280 kW gewährleistet werden.  

In der Gebäudestruktur über dem „Main Channel” befindet sich eine umfangreiche Haustechnikebene, in der ein Kalt- und ein Warmwassertank als Wärmetauscher dienen. Dieses System versorgt nachhaltig und umweltfreundlich die Heizung bzw. Kühlung des Gebäudes.  

ATP architekten ingenieure ist mit mehr als 1.700 Mitarbeitenden das führende Büro für Integrale Planung in Europa. An vierzehn Gesamtplanungsstandorten in DACH und CEE plant ATP komplexe Hochbauten für Auftraggeber aus Forschung und Industrie, Handel und Gesundheitswesen, unterstützt durch eigene Forschungs-, Sonderplanungs- und Consulting-Gesellschaften.