Stellen Sie sich bitte zwei Autokonzerne vor. Konzern A verkaufte im Vorjahr weltweit elf Millionen Neufahrzeuge, Tendenz steigend. Konzern B verkaufte im selben Zeitraum 367.500 Autos, also rund 30 Mal weniger. Preisfrage: Welcher der beiden Konzerne hat den höheren Marktwert? Sie ahnen die richtige Antwort (B) aufgrund der Fragestellung. Aber wie ist das denkbar? Lassen Sie uns zunächst der Sache Namen geben und das Ganze mit erstaunlichen Zahlen garnieren. Konzern A war in unserem Beispiel VW, Konzern B Tesla. Letzterer hat mittlerweile einen Marktwert von 180 Milliarden Dollar und somit nicht nur mehr als VW, sondern sogar um rund 20 Milliarden Dollar mehr als die deutschen Giganten VW, Daimler und BMW zusammen. Besagte Marktwerte ergeben sich übrigens aus der simplen Multiplikation aller im Umlauf befindlichen Aktien mit dem Börsenkurs. Börsenprofis nennen es Marktkapitalisierung. Ich nenne es Markenkapitalisierung.
ERFOLG MIT PERSPEKTIVE
Es gibt mehrere Gründe für das Börsenwunder Tesla, das scheinbar größere Wettbewerber locker in den Schatten stellt. Ich möchte drei hervorheben, die mir zentral erscheinen. Zum Einen ist es die absolut eindeutige Positionierung als E-Auto-Spezialist. Wer Tesla sagt, weiß ohne Zweifel, wovon die Rede ist. Zum Zweiten liegt es am Umstand, dass Tesla damit auf eine Sparte setzt, der die Zukunft gehört. Anleger suchen nach Unternehmen, deren Aktien sie im Moment noch für günstig halten und von denen sie überzeugt sind, dass sie in Zukunft an Wert gewinnen werden. An der Börse wird die Zukunft gehandelt, in unserem Fall E-Autos, ergo Tesla. Der dritte Grund für den Markt- bzw Markenwert-Erfolg ist, dass Tesla das Marketing rund um seine Produkte beherrscht wie nur wenige andere Unternehmen. Der charismatische Chef Elon Musk bespielt mit seinen Visionen der Zukunft mediale Kanäle auf virtuose Weise. Das Unternehmen hat in der Folge nicht nur Käufer, sondern Fans, die die Marke und ihren obersten Vertreter nahezu verehren. Analogien zu Apple und Steve Jobs sind nicht zu übersehen. Elon Musk steht nicht nur für ein Produkt, sondern für die Schaffung von visionären Zukunftswelten und Perspektiven, die Krisenszenarien lösen. Musk vermittelt mit seinen Unternehmen, dass Träume wahr werden, sei es in der E-Mobilität, der privaten Raumfahrt oder der Medizintechnik mit der Entwicklung von Hirnchips, die bislang unheilbare Krankheiten heilen sollen.
PERSPEKTIVE MIT MARKE
Dass es zu einem guten Produkt auch eine starke Marke braucht, um langfristig Erfolg zu haben, offenbart sich vor allem in Krisenzeiten. Wie Unternehmen mit klingenden Namen, die unmissverständlich für qualitätsvolle Produkte oder Dienstleistungen stehen, die aktuelle Corona-Krise gemeistert haben, ist dafür ein Beleg, der sich in Zahlen gießen lässt. So ergab etwa die Analyse von 55.000 börsennotierten Unternehmen durch die Experten des Londoner Markenbewerters Brand Finance, dass deren Gesamtunternehmenswert von Januar bis September 2020 um 3,8 Prozent gestiegen ist, obwohl im selben Zeitraum die Weltwirtschaft um 4,4 Prozent schrumpfte. Führende Markengiganten wie Amazon oder Google erhöhten ihren Markenwert im Vergleich zu 2019 um 17 bzw. 12 Prozent – und das im größten Weltwirtschaftskrisenjahr der jüngeren Geschichte. Zu verdanken haben sie dies einerseits Produktentwicklungen, die mit höchster Qualität die Aktualität widerspiegeln und der Zukunft das Tor öffnen (E-Mobilität bei Tesla, E-Commerce bei Amazon, individualisierte Digitalisierung bei Google), und andererseits einer begleitenden Markenarbeit, die diese Werte authentisch zu kommunizieren weiß.
MARKE MIT DATEN
Was für Auto-, Handels- oder Tech-Konzerne gilt, bewahrheitet sich ebenso in der Immobilienwelt. Wer die zentralen Zukunftswerte wie Nachhaltigkeit/ESG, Employer Branding/Human Resources und Digital Marketing Leadership auf dem Radar hat, seine Produkte/Dienstleistungen konsequent daran orientiert und all das mit seiner Markenkommunikation glaubhaft in die Öffentlichkeit transportiert, zählt zu den krisenresilienten Gewinnern. Nicht umsonst stehen Unternehmen mit diesen Kompetenzen alljährlich bei den auf wissenschaftlicher Basis ermittelten Rankings unseres European Real Estate Brand Institutes auf den obersten Treppen der Siegerpodests. Es sind zugleich jene Unternehmen, die keine Mühe scheuen, das Marktumfeld mit validen Daten ebenso zu durchleuchten wie die darauf bezogenen Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens. Entscheidend ist dabei der permanente Abgleich von Fremdwahrnehmung durch Kunden und konkurrierende Marktteilnehmer mit der Eigenwahrnehmung. Nur so kann die unternehmensindividuell passende Positionierung (immer wieder neu) gefunden und entsprechend vermarktet werden. Wer in diesem Prozess nicht datengetrieben proaktiv ist, negiert auf Dauer das essenzielle Zusammenspiel von eigenen Produkten/Leistungen, Marktanforderungen, Wettbewerbsregeln und Marketing.
DATEN MIT ERFOLG
Das zeigt sich möglicherweise (noch) nicht, wenn in sonnigen Zeiten alles wie von selbst zu laufen scheint. Es wird allerdings dann überdeutlich bis fatal, wenn Krisenzeiten nach Anpassungen oder gar der Erneuerung des eigenen Leistungsspektrums verlangen. Spätestens dann wird das auf Daten und deren Analyse aufgebaute Verständnis für dynamische Vorgänge in der Wirtschaft schlagend. Spätestens dann macht es sich bezahlt, auf der Basis einer präzisen Beobachtung von Umfeld, Wettbewerb und Eigenposition zu wissen, wo man steht, man stehen will und stehen muss. Spätestens dann wird auch klar, dass eine starke Marke dabei maßgeblich hilft, Not-wendende evolutionäre oder gar disruptive Veränderungen des eigenen Angebotsportfolios durch die Krisenphase erfolgreich durchzutragen.
Ganz in diesem Sinne werden wir für Sie auch 2021 damit fortsetzen, Markt, Unternehmen und Marken wissenschaftlich zu analysieren, etwa mit einer Sonderstudie zum brandaktuellen Thema „Disruption meets Resilience“, in der wir den Faktor Resilienz und seinen Einfluss auf die Marke evaluieren. Das Corona-Jahr wird uns dabei äußerst wertvolle Daten für neue Erkenntnisse liefern – wobei an einer Erkenntnis der Vergangenheit wohl nicht gerüttelt wird: Der Markenwert von heute ist die Rentabilität von morgen. Schlag nach bei Tesla & Co