Man braucht für die folgende Prognose kein Hellseher zu sein, weil sämtliche ernstzunehmenden Studien und Umfragen der letzten Jahre mit unmissverständlicher Eindeutigkeit darauf hinweisen: Das entscheidende Zukunftsthema der Branche ist die Nachhaltigkeit. Der simple nicht zu leugnende Umstand, dass weltweit mehr als ein Drittel der CO2-Emissionen auf Gebäude entfallen, und die Tatsache, dass sich die Welt dem Klimaschutz verschrieben hat, ergeben eine Gleichung, die die Immobilienwirtschaft dazu nötigt, Verantwortung zu übernehmen. Wer nicht rechtzeitig – und der Hut brennt schon – auf ein nachhaltiges Geschäftsmodell mit nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen umstellt, wird über kurz oder lang zur Rechenschaft gezogen. Wer auf dem Markt langfristig bestehen will, hat keine andere Wahl, als sich dem Thema mit aller Ernsthaftigkeit zu stellen.
ESG: VON 0 BIS 100
Dabei geht es für die Branche im Rahmen der Nachhaltigkeitsmaßnahmen auch um soziale Kriterien und Governance-Faktoren. ESG ist das dominante Schlagwort. Und wir sprechen hier nicht von einem zwischenzeitlich modischen Begriff, sondern von Handfestem, sprich von demnächst Messbarem. So haben in Europa die höchst prominenten Mitglieder der Initiative „ECORE – ESG Circle of Real Estate“ in Abstimmung mit Branchenverbänden bereits einen Scoringstandard entwickelt, um die Nachhaltigkeit in Immobilienportfolios transparent, vergleichbar und messbar zu machen. Das Scoring bildet über die ESG-Themen hinaus auch die erforderlichen Taxonomie-Kriterien des Pariser Klimaschutzabkommens und des EU-Green-Deal ab. Stakeholder können fortan anhand eines Prozentwertes von null bis 100 erkennen, wie gut eine Immobilie bzw. ein Portfolio die Klima-Ziele und ESG-Kriterien erfüllt. Das erhöht den Wettbewerbsdruck auf die Branchenprotagonisten mit einem Schlag um ein Vielfaches.
TEMPI PASSATI FÜR DAS GREENWASHING
Die Tragweite eines Scoringsystems, das für Stakeholder eine anbieterübergreifende Transparenz schafft, wo sich die Immobilien bzw. die Portfolios auf dem Pfad zur CO2-Neutralität befinden, ist enorm. Denn künftig wird es Investoren, Banken und Versicherungen im Rahmen von Investment- und Finanzierungsprozessen ermöglicht, Immobilienprodukte hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit im Gesamtmarkt einzuordnen. Die Folgen einer länderübergreifenden internationalen Vergleichbarkeit der Performance von Gebäuden und Portfolios kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zwei Schlussfolgerungen liegen auf der Hand: Erstens wird diese Entwicklung eine zunehmende Kollaboration unter allen Marktbeteiligten befördern, weil der gezielte Ausbau des Nachhaltigkeits-Netzwerks zwischen Investoren, Entwicklern, Property-, Facility- und Asset-Managern – sprich allen ESG-Lösungspartnern – sowie Banken, Versicherungen und relevanten Branchenverbänden die Grundlage für nachhaltige Maßnahmen bilden wird. Und zweitens wird die konkret messbare Vergleichbarkeit zur Basis für ein Benchmarking in der Branche. Einfach zu behaupten, man sei nachhaltig, wird nicht mehr reichen. Man muss den Beweis antreten – und der Beweis wird in Zahlen darstellbar und überprüfbar. Das ist ein Game-Changer für Immobilienunternehmen. Die Zeit des Schönfärbens halbgarer Ideen ist vorbei, wenn Unternehmen über qualitativ hochwertige, genaue, vollständige und prüfbare ESG-Daten verfügen müssen, die präzise Auskunft über ihre tatsächliche ESG-Performance geben. In Zukunft heißt es: Tempi passati für die „Freunde“ des Greenwashing.
BEWUSSTSEIN FÜR VERÄNDERUNG SCHAFFEN
Beim European Real Estate Brand Institute wollen wir mit unserer Arbeit unter anderem dazu beitragen, das Bewusstsein für die dringliche Notwendigkeit anstehender Veränderungen – wie jener hin zur Implementierung von ESG-Strategien in Unternehmen – zu schaffen. Im Frühjahr 2020 haben wir zum Beispiel gemeinsam mit der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (gif) ein erstes Forschungsprojekt realisiert, um den Status-quo der europäischen Immobilienbranche bei der Umsetzung von ESG-Strategien zu erheben und gleichzeitig aufzuzeigen, welchen Einfluss die Nachhaltigkeit auf die Positionierung einer Marke hat. Die Ergebnisse waren spannend. Einerseits waren 92 Prozent der Studienteilnehmer der Meinung, dass die Bedeutung von ESG-Themen künftig steigen wird. Andererseits hatten nur 27 Prozent der befragten Unternehmensverantwortlichen ESG-Kriterien in ihrem Betrieb bereits genau definiert. Das Bewusstsein für die Bedeutung des Themas war also vorhanden, der Umgang mit der Erkenntnis hingegen ausbaufähig. Anlass genug für uns, eine zweite Studie (gemeinsam mit der gif und der Hochschule Biberach, HBC) in Angriff zu nehmen.
ESG-SONDERSTUDIE MIT MARKENWERT
Bei unserer Sonderstudie geht es uns darum, die ESG-Einflussfaktoren, Relevanzen und Perspektiven für die Immobilienwirtschaft aufzuzeigen. Wir evaluieren in diesem Sinne die Relevanzen (Identifikation der strategischen ESG Ziele, Wertigkeit – Shareholder Value Konzept, Beweggründe etc.) bei den unterschiedlichen Teilbranchen, leiten die Einflussfaktoren auf die Positionierung von Unternehmensmarken ab und entwickeln eine Guideline für CEOs und CMOs zur Unternehmensentwicklung und Markenführung. Denn eines muss klar sein: Der Umgang von Unternehmen nach innen und außen mit dem Zukunftsthema ESG wird in einem entscheidenden Ausmaß dazu beitragen, wie die künftige Position am Markt aussieht und wie sich die Unternehmensmarke im Wettbewerb entwickelt. Eine überzeugende ESG-Visitenkarte, die sich in der Marke widerspiegelt, wird somit schon bald zur Voraussetzung, um ein Eintrittsticket für den Kapitalmarkt zu lösen. Dazu eine interessante Information vom „Forum Nachhaltige Geldanlagen“ (FNG, Fachverband für Deutschland, Österreich, Liechtenstein und die Schweiz). Dort werden Nachhaltige Geldanlagen (NG) als Anlageprozesse definiert, die in ihre Finanzanalyse den Einfluss von ESG-Kriterien einbeziehen. Laut Marktbericht erreichten 2019 die Summen der NG sowohl in Deutschland (219 Milliarden Euro), in Österreich (21,8 Milliarden) als auch in der Schweiz (233 Milliarden) einen historischen Höchststand – Tendenz steigend. Laut FNG-Marktbericht kennzeichnet sich der Markt für verantwortliche Investments und Nachhaltige Geldanlagen durch eine bisher noch nicht gekannte Dynamik. Zitat aus der Studienconclusio: „Durch die Transparenzanforderungen für Asset Manager und Asset Owner wird ESG-Integration ein inhaltlicher Treiber für die qualitative Weiterentwicklung des NG-Marktes.“
KPI SUSTAINABILITY
In Anbetracht der Bedeutungsschwere des Themas richten wir auch in unserer Real Estate Brand Value Study 2021 einen der Fokusse auf ESG, indem wir den Key Performance Indicator Sustainability messen. Schließlich geht es für die Unternehmen der Immobilienbranche nicht nur darum, aktiv zu sein und Markenentwicklungsarbeit im Bereich Nachhaltigkeit zu leisten, sondern auch darum, wie diese Aktivitäten vom Markt wahrgenommen werden. Denn was nützt die schönste Eigenwahrnehmung, wenn die Fremdwahrnehmung nicht korreliert?
Das Jahr 2021 wird also spannend. Umbrüche und Anpassungen an neue Rahmenbedingungen stehen ante portas und die Marken von Unternehmen dabei auf dem Spiel. Im REB-Institute werden wir die Entwicklungen und Prozesse im Auge behalten, analysieren und auswerten. Mit der ESG-Sonderstudie und der Real Estate Brand Value Study hoffen wir, Unternehmen bei der Positionierung am Markt und der Markenführung entscheidend Beistand leisten zu können.
In diesem Sinne – pflegen Sie auch weiterhin ihr wichtigstes Gut – Ihre Marke